Genf: Tristan und Isolde Premiere – 15. September 2024
Minimalismus statt darstellerische Emotion
Aufführungs-Plakat
Die lang erwartete Neuinszenierung der Handlung in drei Aufzügen “Tristan und Isolde” von Richard Wagner am Grand Théâtre de Genève in der Regie von Michael Thalheimer überzeugte vor allem durch eine phantastische sängerische und darstellerische Leistung von Elisabet Strid als schwedischer Isolde. Nach ihrem Rollendebut in Sevilla vor einem Jahr beherrscht sie die anspruchsvolle Rolle nun völlig, mit klarem Schwerpunkt auf der gesanglichen Linie. Sie gestaltet die Isolde mit einer stimmlichen Phrasierungskunst und einem lyrisch-dramatischen Ausdruck, die derzeit ihresgleichen suchen. Hinzu kommt eine intensive mimische Interpretation in jedem Moment, mit dem sie auch diesen Abend trotz eines spartanischen Bühnenbildes und einer kaum überzeugenden Personenregie verzauberte.
Isolde will fliehen...
Gwyn Hughes Jones agierte als ihr Tristan nicht ganz auf Augenhöhe. Sein heldischer Tenor klingt etwas spröde und lässt es an tenoralem Glanz und vokaler Wärme missen. Erst im 3. Aufzug, in problematischer Position am Boden liegend, gelingt ihm stimmlich große Intensität und Glaubwürdigkeit, auch wenn im Allgemeinen sein Mienenspiel nicht sehr ausgeprägt ist und er auch vom Typ her nicht unbedingt zu seiner Partnerin passt.
Isolde im 1. Aufzug
Es gab aber noch drei großartige Rollendebuts an diesem Abend mit Kristina Stanek als Brangäne, Tareq Nazmi als König Marke und Audun Iversen als Kurwenal. Kristina Stanek singt die Brangäne mit einem leuchtenden und ausdrucksstarken Mezzo sowie eindringlichem Spiel. Tareq Nazmi ist ein lyrisch dramatischer Marke mit eher hellem Bass und sehr gutem Ausdruck. Audun Iversen gibt einen starken Kurwenal mit ebenso klang- wie kraftvollem Bariton bei bester Diktion. Auch Julien Henric als Merlot, Emanuel Tomljenović als junger Seemann und Hirte sowie Vladimir Kazakov als Steuermann geben gute Rollendebuts.
Isolde mit Tristan im 1. Aufzug
Das Regieteam um Michael Thalheimer mit Henrik Ahr als Bühnenbildner und dem hier dramaturgisch fast alles dominierenden Licht von Stefan Bolliger sowie der Unterstützung des Dramaturgen Luc Joosten nahm Wagners Bezeichnung des „Tristan“ als Handlung in drei Aufzügen offenbar mehr als wörtlich und kam so zu einer minimalistischen Produktion mit lediglich drei Bühnenbildelementen: Eine je nach Stimmung von gelb bis rötlich changierende, manchmal auch ganz erblassende Scheinwerfer-Batterie von 240 Einheiten als alles beherrschendes stilistisches Ausdruckselement; ein schweres Seil; und ein schwarzer auf- und niederfahrender Kasten zur Variierung der meist freien Spielfläche.
"Welcher König?!"
Mit der Scheinwerfer-Batterie will Thalheimer die von Wagner – in der Tat – stark thematisierte Spannung zwischen Tag und Nacht betonen. Das gelingt aber wegen ihres allzu nüchternen Technik-Appeals und einer damit verbundenen aseptischen Wirkung nur sehr begrenzt, zumal die Protagonisten die meiste Zeit während der beiden ersten Aufzüge beziehungslos nebeneinander stehen, auch einmal aufeinander zu robben, ohne sich zu berühren. Es ist einfach zu wenig für Auge und Sinn – und wohl auch für diese Story. Das hier gezeigte Aufführungs-Plakat sagte also über die Inszenierung recht wenig aus…
Liebesduett 2. Aufzug
Wie bei Heiner Müller einst in Bayreuth darf Isolde Tristan erst im Tode berühren, und auch die Lichtbatterie sah man schon auf anderen Bühnen bei Wagner, ich erinnere mich an eine „Götterdämmerung“. So konzentriert sich die interpersonelle Emotion auf den 3. Aufzug zwischen Kurwenal und Tristan und schließlich Isolde bei ihrer Klage über der Leiche des Geliebten. Kurwenal versucht, seinen Herrn mit letzter Kraft und Erschütterung wie in der Position einer Pietà vom Boden zu heben. Isolde darf nach Tristans letztem Wort „Isolde“ nun endlich seine Hände berühren und ihn liebkosen, sowie auf ihm ruhen bis zum Liebestod.
Tristan im 3. Aufzug mit dem Seil des Schicksals
Das Seil wird als Schicksalsseil geführt: Im Vorspiel ist zu sehen, wie Isolde daran zerrend versucht, sich davonzustehlen, gehindert von Brangäne, was etwas überrascht, wenn diese am anderen Ende sichtbar wird. Und schließlich wird es Tristan, der im 3. Aufzug damit mutterseelenallein auf die Bühne kommt, zur finalen Last.
Marke kommt auf das Schlachtfeld
Gelungen sind die Kostüme von Michaela Barth insbesondere für Isolde mit einem Kleid desselben Stils zunächst in Hochzeitsweiß über Grau im 2. Aufzug auf Schwarz im Finale. Brangäne wirkte allerdings wie eine Lagerleiterin. König Marke kam in einem eleganten hellen Mantel in die Szene, sozusagen aus der Lichtbatterie, vor der man Isolde bei ihrem virtuellen Liebestod wegen Überblendung kaum noch erkennen konnte.
Elisabet Strid
Was allerdings gar nicht in dieses fast klinisch reine Ambiente passte war, dass beim Liebesduett sich beide mit einer Scherbe des Liebestranks die Unterarme aufschlitzen. Nun also doch auf einmal handfeste Realität. Auch das Messer von Melot, das sich Tristan, wie immer wieder erlebt, in die Seite zieht, wirkte in dieser Inszenierung schon wie ein zu realistischer Schritt zu viel.
Schlussapplaus alle Sänger
Marc Albrecht schuf mit dem exzellenten Orchestre de la Suisse Romande einen sehr flüssigen, Emotionen betonenden, aber nie pathetischen „Tristan“-Klang, der den Sängern stets entgegenkam. Sehr schön und dynamisch eindrucksvoll erklangen die facettenreich musizierenden Streicher, in deren Klangteppich die Bläser harmonisch eingebunden waren. Musikalisch war es also ein erstklassiger Abend, zu dem auch der Choeur du Grand Théâtre de Genève unter der Leitung von Mark Biggins kraftvoll aus dem Off beitrug.
Fotos: Carole Parodi 2-8; K. Billand 1,9-10
Klaus Billand